Nachhaltig und Ökologisch:

 

So wird in Berlin die Infrastruktur der Zukunft gemacht 

 

Schon mal in Berlin mit einer Solar-Fähre über die Spree geschippert, sich nachts von einem Öko-Erdgas-Taxis nach Hause bringen lassen oder die Pflanzen im Garten oder auf dem Balkon mit Phosphor-Dünger aus recyceltem Berliner Klärschlamm beglückt? All das ist  möglich in dieser Stadt, von der man ja ständig und überall nur hört: Berlin boomt. Berlin ist cool. Berlin ist sexy. Sage und schreibe 26,9 Millionen Touristen bevölkerten die Stadt im vergangenen Jahr. Immer mehr Menschen möchten dauerhaft in die deutsche Hauptstadt ziehen, in der schon 3,5 Millionen Einwohner aus 185 Nationen in 1,9 Millionen Wohnungen leben. Meist alleine oder zu zweit -  Berlin ist der Hotspot für Singles. Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg quetschen sich unglaubliche 12.400 Bewohner auf einen Quadratkilometer; soviel wie sonst nirgends in Deutschland.

 

Keine Frage: Berlin ist eine Stadt der Superlative, aber eben auch eine Metropole mit Megaaufgaben in der Zukunft; vor allem für die Unternehmen, die für die städtische Infrastruktur und damit die Ver- und Entsorgung mit Wasser, Gas, Strom, öffentlichem Personennahverkehr und Müll zuständig sind. Denn es ist das scheinbar Alltägliche, das enorme Herausforderungen darstellt und Visionäres einfordert.

 

So produziert der Durchschnitts-Berliner täglich fast ein Kilo Müll. Das summiert sich für die Berliner Stadtreinigung auf knapp 1,2 Millionen Tonnen Abfall im Jahr, die zu entsorgen sind. Der Berliner nutzt zudem jeden Tag im Schnitt stolze 110 Liter Leitungswasser in Trinkwasser-Qualität. Der Stromverbrauch der Hauptstadt beträgt gigantische 14 Terawattstunden im Jahr. 1,2 Millionen zugelassene Autos kurven auf einem Straßennetz von 5.350 Kilometern und verstopfen es auch gern mal.

 

Die logische Folge: An neuen, innovativen und nachhaltigen Ideen und Projekten führt in Zeiten von Klimawandel und gesetzlich vorgeschriebener Energiewende für Stadtreinigung, Gasversorger, Wasser- oder Verkehrsbetriebe einfach kein Weg vorbei.

 

Mit Solar-Fähren, Leichtbau- und Elektro-Bussen durch den Berliner Verkehr

 

„Der ÖPNV wird in Zukunft eine noch größere Rolle für die urbane Mobilität in Berlin spielen.“ Da ist sich Marcus Falkner, Sprecher der Berliner Verkehrsbetriebe sicher. Das gilt es nun mit dem erklärten Ziel der BVG  – bis 2020 sollen die CO2-Emmisssion um 20 Prozent gesenkt werden -  zu vereinbaren. Das neueste Vorhaben in Sachen ökologischer Verkehr: Ab Sommer 2015 werden auf der 6,1 Kilometer langen Strecke der Linie 204 vom Zoologischen Garten bis zum Südkreuz erstmals in einer europäischen Hauptstadt Elektrobusse mit kabellosem Ladesystem zum Einsatz kommen. Ein vom Bund gefördertes und  von der TU Berlin wissenschaftlich begleitetes Test-Projekt. Lobende Worte gab es dazu schon vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Alexander Dobrindt: „Elektromobilität wird künftig im öffentlichen Nahverkehr eine größere Rolle spielen. Das ist ein wegweisendes Projekt, bei dem Berlin zu den Vorreitern zählt.“

 

Insgesamt schafft die BVG dafür vier 12-Meter-Busse an, die jeweils an den Endhaltestellen ihre Bord-Batterien kabellos aufladen können. Unter dem Fahrbahnbelag werden dafür Ladeplatten für eine kontaktlose Energieübertragung verlegt. Die Ladezeiten betragen nur wenige Minuten.

 

Statt mit lautem Dieselmotor und begleitet von Rußwolken schippern bereits vier neue BVG-Solar-Fähren seit diesem Jahr leise und vor allem völlig emissionsfrei über die Berliner Gewässer. „Berlin ist damit weltweiter Vorreiter für den CO2 freien Personentransport auf dem Wasser“, so die BVG. Die neuen Solar-Fähren tragen die hübschen Namen „FährBär“ 1 bis 4 und verkehren nun ganzjährig im Berliner Südosten auf den Linien F11 und F12 sowie in der Sommersaison auf den Linien F21 und F23. Angetrieben werden sie von Elektromotoren, die von Solarzellen auf dem Dach mit Energie versorgt werden. Scheint die Sonne kräftig, cruisen die „FährBären“ allein mit der Kraft der Sonnenenergie übers Wasser. Bei schlechtem Wetter sichern Batterien, die über Nacht zusätzlich per „Landstrom“ geladen werden, ihre Einsatzbereitschaft.

 

Umweltfreundlicher als herkömmliche Modelle sind auch die neuen Leichtbau-12-Meter Busse, von denen die BVG nun die ersten 40 von insgesamt 236 bis zum Jahr 2019 geordert hat. Der neue „Citea LLE“-Bus ist nicht nur deutlich leichter, er schluckt auch 20 Prozent weniger Sprit und stößt 20 Prozent weniger Kohlendioxid aus. Kombiniert mit einem Euro6-Motor sinkt damit der Stickoxid-Ausstoß sogar um 95 Prozent. „Wir kennen diesen Bus mittlerweile in – und auswendig und sind wirklich begeistert“, so Martin Koller, Bereichsleiter Omnibus bei der BVG.

 

Biogas, Strom und Dünger aus Klärschlamm:

 

Für eine bessere Energie-Bilanz heißt das zukunftsträchtige Zauberwort bei den Berliner Wasserbetrieben (BWB): Klärschlamm. Der sieht zwar richtig übel aus und riecht auch genau so, aber es steckt jede Menge Potential in diesem stinkenden Reststoff aus der Abwasserreinigung. Und er fällt in großen Mengen an. Das Gute aber an ihm ist: Er lässt sich nicht nur in Biogas und Strom verwandeln, mit dem freigesetzten, kristallisierten Phosphor darin kann auch ein Pflanzen-Langzeitdünger als umweltfreundliches Abfallprodukt hergestellt werden.

 

2014 soll mit einem von den BWB selbst entwickelten und patentierten Verfahren aus diesem Klärschlamm die Rekordmenge von 400 Tonnen des Phosphordüngers namens „Berliner Pflanze“ gewonnen werden.  „Jahrelang ist an dem Verfahren geschraubt worden. Wie sind jetzt sehr stolz auf unser Produkt und langsam wird es auch immer bekannter“, freut sich Stephan Natz von den BWB, der den hauseigenen Dünger sogar schon im privaten,  heimischen Pflanzenreich getestet hat – mit Erfolg: „Hat sehr gut funktioniert.“

 

Der allergrößte Teil des Klärschlamm-Düngers, der neben Phosphor auch Stickstoff und Magnesium enthält,  wird an die Agrarbetriebe in der Region verkauft. Berliner Hobbygärtner können die recycelte Pflanzen-Nahrung mit Langzeitwirkung im Kundenzentrum, im Museum im Wasserwerk und am Infomobil für zwei Euro das Kilo erwerben.

 

Aus Klärschlamm wird in Berlin aber auch Strom erzeugt. Und den benötigen die Wasserbetriebe vor allem selbst reichlich und versuchen sich mit der Umwandlung von Klärschlamm in Biogas und Strom auch zunehmend unabhängiger von anderen Strom-Anbietern zu machen. Und das ist gut so: Die Berliner Wasser-, Klär- und Pumpwerke benötigen alleine ähnlich viel Strom wie eine Stadt mit 280 000 Einwohnern.  Weniger die Gewinnung des Grundwassers und seiner Aufbereitung aber verschlingen die Energie als die dreistufige, aufwendige Reinigung des Abwassers. Beispiel Klärwerk Ruhleben, das Größte von insgesamt sechs Berliner Werken: Der anfallende Klärschlamm wird hier zunächst getrocknet,  dann bei 850 Grad verbrannt und direkt verstromt. In den anderen fünf, wesentlich kleineren Klärwerken wandert die eklige Substanz in Faulkammern, in denen sie mit Hilfe von Mikroorganismen in Biogas verwandelt wird, welches wiederum ebenfalls Wärme und Elektroenergie produziert. Zusammen mit eigenen Solar- und Windkraftanlagen erzeugen die Berliner Wasserbetriebe so inzwischen stolze 60 Gigawatt Strom selbst.

 

Berlin – ganz vorn bei der Erdgas-Mobilität

 

Sie ist schon die  Nummer 21 ihrer Art in Berlin und damit sucht diese Infrastruktur bundesweit ihresgleichen: Im Juli dieses Jahres eröffnete eine weitere Erdgas-Tankstelle in Alt-Friedrichsfelde 61 und bescherte ihren ersten Kunden gleich auch noch einen Gutschein für eine Autowäsche dazu. Damit verfügt Berlin über das dichteste Netz an Erdgas-Tankstellen. Zwölf dieser Tankstellen betreibt die Berliner Gaswerke Aktiengesellschaft Gasag, entstanden 1847 als stadteigenes Gaswerk zur öffentlichen Straßenbeleuchtung mit 2.055 Gaslaternen. Wie sich die Zeiten ändern. „Schon seit mehr als 15 Jahren engagieren wir uns für Erdgas als Kraftstoff“, so Sprecherin Ursula Luchner-Brock. Berlin sei mittlerweile Zentrum der umweltfreundlichen Erdgas-Mobilität. Über 4200 Autos – soviel wie nirgends sonst in Deutschland - fahren in der Hauptstadt bereits mit diesem Kraftstoff, der bis zu 23 Prozent weniger CO2 verursacht als Benzin.

 

Mit dem Förderprogramm  „Tausend Umwelttaxis für Berlin“ startete die Gasag bereits im Jahr 2000 ihr Engagement. Heute kennt jeder Berliner die Eco-Taxis mit dem Aufkleber „Umwelttaxi fährt mit Erdgas“. Jede Neu-Anschaffung oder Umrüstung wird von der Gasag mit bis zu 1500 Euro bezuschusst.  Und das Gasversorgungs-Unternehmen sucht auch die gezielte Kooperation mit anderen Berliner Unternehmen - der Howoge-Wohnungsbaugesellschaft zum Beispiel.  So konnten in diesem Jahr auch sieben neue Erdgas-Fahrzeuge für die mobilen Hausmeister angeschafft werden, die nun mit ihren blauen Service-Mobilen durch die Stadt kurven.

 

Aus Bio-Abfall wird Bio-Gas

 

Und noch ein Beispiel in Sachen Investition in Nachhaltigkeit: 60.000 Tonnen Bio-Abfall produzieren die Berliner jedes Jahr. Darüber freut sich die Berliner Stadtreinigung sehr. Denn dieser Müll ist wertvoll – für die Umwelt und die Müllfahrzeuge der BSR gleichermaßen. Der Bio-Abfall findet am Ende nämlich als Biogas seinen Weg vom Laderaum in den Tank von 150 Fahrzeugen der BSR. Das ist bereits etwa die Hälfte der gesamten BSR-Flotte. Bei der Berliner Stadtreinigung wäre man höchst erfreut, wenn noch mehr altes Brot, Kaffeesatz, Teebeutel, Essensreste und Obst- und Kartoffelnschalen in den grünen Tonnen landen würden. „Wenn die Berliner und Berlinerinnen ihren Abfall noch sorgfältiger trennen, könnten wir bald eine zweite Biogasanlage bauen“, sagt die Vorstandsvorsitzende der BSR, Vera Gäde-Butzlaff.

 

Doch wie funktioniert das Prinzip eigentlich? Der Bio-Müll wird von der Müll-Abfuhr in eine Vergärungsanlage nach Ruhleben transportiert. Drei Wochen lang bearbeiten dort Mikroorganismen den organischen Abfall. Und dabei entsteht Rohbiogas. Das wird gereinigt, aufbereitet und konzentriert. Danach ist es fast identisch mit Erdgas und kann ins Stadtgas-Netz eingespeist werden. An drei eigenen Gas-Tankstellen können dann die BSR-Fahrzeuge diesen Kraftstoff tanken und hier schließt sich auch der Kreislauf. Jährlich spart die BSR damit nicht nur 2,5 Millionen Liter Diesel, es werden auch 12.000 Tonnen weniger CO2 ausgestoßen.

 

Ein ganzes „Ideenlabor“ ist bei der BSR mittlerweile im Einsatz, um innovative, neue Zukunftsprojekte ins Leben zu rufen. 14 Mitarbeiter aus allen Sparten des Unternehmens gehören zum Team. „Wir wollen nicht reagieren, sondern agieren. Wir denken die Stadt der Zukunft.“ So formuliert es Sabine Thümler, Sprecherin der BSR und fügt mit Stolz an, man sei für dieses Engagement 2014 sogar erneut für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert. Die „Tonne im Gestell“ etwa ist eine der vielen neuen Initiativen.

 

Dabei handelt es sich um den Prototypen einer neuen Mülltonne, die auch von Kindern, Rollstuhlfahrern oder gehbehinderten Senioren einfach geöffnet und bedient werden kann. Denn genau das ist häufig das Problem bei den herkömmlichen Berliner 240-Liter-Modellen. Sie sind für viele Menschen nicht nur zu hoch, sie lassen sich auch nur schwer mit einer Hand bedienen. All diese Handicaps gibt es bei der neuen, unterfahrbaren Tonne nicht. Eine Designstudentin hat die in einem Gestell schräg verankerte Tonne für die BSR entwickelt. Sie ist auch sitzend oder für kleine Menschen bequem zu erreichen, hat einen Neigungswinkel von 32 Grad und der Müll kann mit einer Hand problemlos eingeworfen werden. Geplant ist nun ein Pilotprojekt mit mehreren Prototypen zu starten. Und vielleicht steht diese neue, zeitgemäße Mülltonne dann demnächst flächendeckend in Berlin und vielleicht bekommt die BSR am Ende dafür sogar einen Nachhaltigkeitspreis. (Susanne Küppers)